Carmen Woisetschläger
Tag 1
Hallo, mein Name ist Carmen, werde heuer im Sommer 34 Jahre alt. Katzenmami 😉 und mega stolze Tante.
Viele kennen mich, aber nur wenige kennen MICH.
Solch tiefe Narben auf der Seele, trägt man ja auch nicht auf der Zunge bzw. erzählt man sie nicht jedem. Sind keine “Geschichten“ die man in der gemütlichen Runde erzählt, wenn der Gesprächsstoff ausgeht.
Ich bin mit meiner Mama und meinen 3 Geschwistern 2001 von Linz nach Thalheim gezogen. Im Sommer 2002 hat mich eine Freundin aus Linz besucht. Ich holte sie am Bahnhof in Wels ab.
Dort hat mich ein Typ bzgl. einer Zigarette angesprochen. Ich wollte nur meine Ruhe und gab ihm eine, in der Hoffnung er würde dann abziehen.
Meine Freundin und ich gingen dann zu Fuß Richtung Thalheim. Da wir sehr cool waren, kauften wir uns beide ein Eristoff Ice und setzten uns gemütlich entlang der Traun in die Sonne und quatschten über das vergangene Jahr…
Tag 2
Beim Spar hab ich den Typen vom Bahnhof wieder gesehen, hatte zwar ein komisches Gefühl im Bauch aber dachte mir noch nichts dabei. Kann ja ein Zufall sein, dass der mit seinem Spezi auch nach Thalheim musste. Warum auch nicht. … Auf einmal tauchten die beiden Jungs bei uns an der Traun auf, wollten uns schöne Augen machen und meinten, wir sollten uns doch zu viert zusammen setzen und den Tag genießen. Zu viert ist es sicher lustiger. Anfangs sträubte ich mich, da das komische Gefühl schon wieder da war. Aber meine Freundin ist total drauf angesprungen und sie setzten sich zu uns. Die beiden waren entweder um einiges älter oder hatten gefälschte Ausweise, denn sie kamen nicht mit so einem Alkopop Getränk an, sondern gleich mit Vodka.
Komplett blöde Idee, mich dazu überreden zu lassen auch mal einen Schluck zu nehmen. Ich war auf einmal komplett weg. Warum, kann ich nicht sagen und möchte auch nichts aussprechen, was ich nicht mehr zu 100 % weiß.
Als ich zu mir kam, war ich wie gelähmt, hatte meinen Körper nicht unter Kontrolle. Ich lag auf einer Parkbank. Hab nur mitbekommen, dass meine Freundin und die beiden Kerle auch noch da waren.
Der eine Typ vom Bahnhof hob mich hoch und ging mit mir weg. Meine Freundin fragte nur, was er denn mit mir machen würde, seine Antwort war nur, ich werde es schon sehen. Er trug mich hinter den nächsten größeren Busch, zog mir meine Hose und mein Höschen aus und vergewaltigte mich. Das schlimmste daran, ich war bei Bewusstsein, bekam alles mit nur konnte mich nicht wehren. Mein Körper gehorchte mir nicht. Ich lag nur da und weinte. Als er fertig war, stand er auf und ging davon. Er lies mich halb nackt alleine und unbeweglich in der Wiese liegen. Mir kam es vor, als wären Stunden vergangen, bis ich mich endlich wieder rühren konnte. Ich zog mich an und ging zu der Parkbank zurück. Dort wartete Gott sei Dank nur noch meine Freundin auf mich. Ich schämte mich so sehr und hatte das Gefühl, etwas Falsches gemacht zu haben. Meine Freundin hatte ihr Telefon verloren, oder die beiden Typen stahlen es ihr. Das war das einzige, über das sie noch sprach. Durch meine Scham und dem Gefühl, ich hätte etwas Falsches getan, dachte ich mir eine Lüge, bezüglich der Grasflecken auf meiner Hose aus (bin hin gefallen). Am nächsten Tag hatte ich einen riesen Blutfleck im Bett. Ich log meine Mutter erneut an (hab vergessen, dass ich meine Tage bekomme).
Tag 3
Mama fuhr am nächsten Tag mit meinen Geschwistern ins Freibad. Meine Freundin und ich, machten es sich im Garten gemütlich. Ganz auf der Höhe war ich nicht, hatte das alles noch gar nicht verstanden was da eigentlich wirklich passiert ist.
Plötzlich standen die beiden Typen vom Vortag vor unserem Garten. Ich sagte nur, sie sollen sofort abhauen, sonst hol ich meine Mama raus. Er lachte nur und meinte, er weiß ganz genau, dass sie weggefahren ist. Sie stiegen über die kleine Gartentüre. Ich schaute nur, dass wir so schnell wie möglich in die Wohnung kommen und alle Türen verschlossen sind. Die beiden machten sich daraus einen Scherz, waren extrem laut und rauchten einen Joint. Als sie genug Spaß hatten und den Joint ausgeraucht hatten, gingen Sie wieder auf demselben Weg wie sie gekommen sind.
Da meine Freundin noch immer nur um ihr Handy trauerte und mir absolut keine Unterstützung war oder mir zuhören wollte, schickte ich Sie nach Hause. Auf nimmer wiedersehen. Ich wollte mit ihr nie wieder etwas zu tun haben.
Ein paar Monate später, war ich am nach Hause weg von einer Freundin, spät dran wie immer und ging schon ziemlich zügig, um ja nicht zu spät zu Hause zu sein. Denn das würde heißen, ich würde wieder geschimpft bekommen von Mama. Auf einmal lief es mir eiskalten den Rücken runter und ich hatte das Gefühl, jemand verfolgt mich. In einer kleinen Seitenstraße (weder gruselig noch finster, schon 100-mal dort gegangen) drückte mich jemand an eine Hauswand. Ich sah in das Gesicht des Vergewaltigers. Im ersten Moment erstarrte ich wieder und war nicht mehr in meinem Körper. Sah mich und den Typen aus Sicht einer dritten Person. Bis er zu mir sagte, er wusste, dass er mich wiedersehen würde.
Ich holte mit meinem Knie aus und stieß so fest in seinen Intimbereich wie ich nur konnte. Er ging in die Knie und rollte sich am Boden zusammen. Im Schockrausch bekam ich so viel Kraft und Mut, dass ich dem scheiß Kerl auch noch mit meinem Fuß mit aller Kraft die ich in dem Moment besaß, in die Weichteile stieg und sagte, zu ihm, ich hoffe, er könne seinen Penis nie wieder benutzen und lief nach Hause. So schnell bin ich noch nie in meinem Leben gelaufen. Zuhause angekommen, schimpfte mich meine Mama natürlich, denn ich war zu spät. Ich brach in Tränen aus und konnte nicht mehr verschweigen was mir passiert war.
Erst da realisierte ich etwas mehr, was mir wirklich passiert ist. Anzeige konnten wir vergessen, da es Monate später war, keine Beweise mehr und ich wusste ja auch nicht, wie der Typ heißt.
Tag 4
Durch die Vergewaltigung hatte ich mein Selbstvertrauen und auch meinen Selbstwert verloren. Beziehungen konnte ich nur schwer eingehen und wenn, dann war ich nicht genau so viel Wert wie mein Partner.
Mit 17 verliebte ich mich in einen Burschen der 3 Jahre älter war als ich. Anfangs hat alles gepasst, er lernte meine einzige Freundin kenne, aber auch meine Familie. Genau so wie ich seine Freunde und Familie. Immer öfter wollte er nur allein zuhause mit mir sein, setzte mir lauter Lügen in mein Ohr welche meine Freundin an gingen und ich glaubte ihm. Genauso verbot er mir aus unbestimmten Gründen den Kontakt zu meiner Familie. Ich war ihm hörig. Alles was er sagte, glaubte und machte ich. Die gemeinsame Wohnung, die wir hatten, lief auch mich. Ich bezahlte mit meiner Lehrlingsentschädigung alle Fixkosten alleine, denn er war zu diesem Zeitpunkt arbeitslos. Er ging schick essen mit seinen Freunden, ich saß allein zu haus und hatte kaum Geld mir etwas zum Essen zu kaufen. Meine Mama konnte mir nicht helfen, ich war bereits 18 Jahre und ließ mir nicht helfen. Einmal die Woche hat mir Sie ein Sackerl mit Lebensmittel vor die Wohnungstür gestellt, damit ich ietwas zum Essen hatte. Das durfte aber mein Freund natürlich nicht wissen. Der hätte es weggeworfen.
Ich musste mir Sexspielzeug kauften, er schrieb mir, wann er nach Hause kommt und wie er mich vorfinden möchte. Ich musste die ganze Wohnung alleine putzen, er saß auf der Couch, sah mir dabei zu und schuf mir an, ich muss erneut von vorne anfangen, wenn ihm etwas nicht gepasst hat. Er übte psychischen Druck auf mir aus. Brachte mich zum weinen und hielt mich die ganze Nacht munter, obwohl ich am nächsten Tag zu meiner Lehrstelle musste. Eine seiner Aussagen, wenn ich weinte;sehr gut, soweit wollte ich dich bringen, jetzt bist do dort, wo ich dich haben wollte. Ich wog keine 40 kg mehr. Bei psychischer Belastung existiert für mich kein Hungergefühle mehr und es schlägt sich sofort auf meinen Magen. Sprich ich behalte mir keine Nahrung mehr.
Hat er gesagt, die Wiese ist blau, dann war die Wiese blau. Da gab es keine Diskussion.
Wäre damals meine Lehrzeit nicht ausgelaufen und ich von meinem Dienstgeber gekündigt worden, wäre ich vermutlich nicht so schnell und so klimpflich davon gekommen.
Die Kündigung war meine Rettung. Mein Ausweg. Mein Wachrütteln.
Durch die Vergewaltigung hab ich mein Urvertrauen verloren, konnte mich nicht mehr fallen lasse, war nur noch unsicher, verschreckt, konnte keine Liebe zulassen bzw. wusste ich nicht mal, wie sich das anfühlen sollte.
Tag 5
Jahre lang hab ich meine Leichen tief vergraben lassen. Dort hab ich alles hinein gepackt und auch dort gelassen.
Man lernt mit der Zeit damit umzugehen, damit zu leben. Ich hab in kleinen Schritten aufgearbeitet, dachte ich mir. Doch eigentlich konnte ich nur darüber sprechen…. Verarbeitet hab ich kein Stück.
Erst Anfang 2021 hab ich mit sehr lieber Hilfe mein inneres Kind wieder gefunden, abgeholt und mit nach Hause genommen. Bin aktiv dabei, mein Trauma aufzuarbeiten. Es ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich. Es lohnt sich total und es gibt kein besseres Gefühl, als dass, wenn man solch Ballast Stück für Stück abwerfen kann. Aufeinmal wieder viel mehr Luft bekommt.
Wichtig, nicht an mir sondern mit mir arbeiten, wissen was ich mir von Herzen wünsche, zu meinen Gefühlen und Träumen stehen, nicht mehr warten – machen! Ich weiß, das klingt sehr klischeehaft, aber es ist wirklich so!!
Bitte lasst euch zu nichts drängen, man kann erst daran arbeiten, wenn man selbst so weit ist. Man braucht viel Kraft und Mut.
Geht euren eigenen Weg, mit eurem eigenen Tempo!
Tag 6
Und schon ist er wieder da – der letzte Tag unserer Woche mit Carmen. Abschliessend mit einem Video, geschnitten von Patrick Stanglmaier.